Montag, 1. Oktober 2012

Identität und Rechtsnachfolge am Beispiel Deutschlands

Einleitung

Viele Reichsideologen haben Probleme damit, die Begriff "Identität" und "Rechtsnachfolge" richtig einzuordnen und nutzen die aufgrund dessen falsch gezogenen Schlussfolgerungen, um ihre Thesen zu untermauern und um Leute zu verwirren.
Der folgende (etwas längere) Artikel beschreibt, was diese Begriffe im Fall Deutschlands staats- und völkerrechtlich bedeuten.

Identität

Identität bedeutet, dass zwei gegebene Größen dasselbe sind und völlig übereinstimmen. Im Falle Deutschlands bezieht sich Identität auf die Tatsache, dass alle deutschen Staaten seit 1867/71 völkerrechtlich gesehen identisch sind (mal von der späten DDR ausgenommen). Seit ihrer Gründung hat sich die Bundesrepublik nicht als neuen Staat verstanden, sondern als Neuorganisation des westlichen Teils des seit 1867/71 bestehenden Staates Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellte in seinem Urteil vom 31.07.1973 zu diesem Thema fest:
Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält.

Das Deutsche Reich existiert fort (BVerfGE 2, 266 [277]; 3, 288 [319 f.]; 5, 85 [126]; 6, 309 [336, 363]), besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. Im Grundgesetz ist auch die Auffassung vom gesamtdeutschen Staatsvolk und von der gesamtdeutschen Staatsgewalt "verankert" (BVerfGE 2, 266 [277]). Verantwortung für "Deutschland als Ganzes" tragen – auch – die vier Mächte (BVerfGE 1, 351 [362 f., 367]).

Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert [...]. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht "Rechtsnachfolger" des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat "Deutsches Reich", – in bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings "teilidentisch", so daß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht. [...] Sie beschränkt staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt auf den "Geltungsbereich des Grundgesetzes".
Die Bundesrepublik [...] fühlt sich aber auch verantwortlich für das ganze Deutschland [...]. Die Deutsche Demokratische Republik gehört zu Deutschland und kann im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden.
Die Bundesrepublik ist also der Staat, der mal "Deutsches Reich" und davor "Norddeutscher Bund" hieß: Deutschland. Sie sieht sich eben nicht als Rechtsnachfolger des Reiches an (das hätte bedeutet, dass das Reich aufgelöst worden wäre), sondern als das Deutsche Reich in seiner neuen Gestalt.
Nach dem Zusammenbruch der Staatsgewalt von 1945 existierte Deutschland als Völkerrechtssubjekt weiter (denn es wurde nie aufgelöst), war jedoch als Gesamtstaat nicht handlungsfähig, da es bis 1990 niemanden gab, der Staatsgewalt über Gesamtdeutschland ausüben konnte (siehe auch Abschnitt "Teilidentität").
Die Bundesrepublik hat von Anfang an daran festgehalten, dass sie mit dem Deutschen Reich identisch ist und verstand sich als dessen Weiterführung. Nach außen hin handelt es sich immer um denselben Staat, jedoch haben sich Name und die interne Organisation geändert (konstitutionelle Monarchie, Republik, Diktatur, Republik). Genau dies geschah auch bei vielen anderen Staaten, z.B. bei Frankreich (mehrere Wechsel zwischen Monarchie und Republik) und dem Iran (zuerst konstitutionelle Monarchie, dann Islamische Republik). Im Kleinen tritt so ein Fall ein, wenn Frau A. Herrn B. heiratet und dann Frau B. heißt. Frau A. und Frau B. sind damit identisch.
Aus diesem Grund hat die Bundesrepublik die alten völkerrechtlichen Verträge des Reiches weiterführen können, ohne dass diese hätten neu verhandelt werden müssen (bestes Beispiel ist das Reichskonkordat). Und da die anderen Staaten dies anerkannt haben, besteht für niemanden Zweifel, dass die Bundesrepublik und das Deutsche Reich völkerrechtlich derselbe Staat sind.
Auch der Umfang des Staatsgebietes spielt in diesem Fall keine Rolle. Frankreich hat im Laufe seiner Geschichte Gebiete verloren und hinzugewonnen (z.B. das Elsass), was aber nichts an der Qualität Frankreichs geändert hat, ein Staat zu sein. Genau dies ist auch mit Deutschland passiert.

Teilidentität

Viele Reichsideologen interpretieren das BVerfG-Urteil so, dass Bundesrepublik und Deutsches Reich nicht vollkommen identisch, sondern nur teilidentisch sind. Die im Urteil angesprochene Teilidentität bezog sich jedoch nur auf die räumliche Ausdehnung. 1973 konnte die Bundesrepublik tatsächlich nur über ihr eigenes Territorium Staatsgewalt ausüben, nicht über die restlichen Teile Deutschlands. Zum einen hatte die Bundesrepublik nur eingeschränkte Gewalt über West-Berlin. Dann gab es da noch die DDR - dass die Bundesrepublik hier keine Staatsgewalt ausüben konnte, versteht sich von selbst. Weiterhin standen die ehemaligen Ostgebiete unter polnischer und sowjetischer Verwaltung, gehörten aber völkerrechtlich noch zu Deutschland - auch hier konnte die Bundesrepublik selbstverständlich keine Staatsgewalt ausüben.
Erst als die Bundesrepublik 1990 ihre Staatsgewalt auf das Gebiet der ehemaligen DDR und ganz Berlin ausweiten konnte, die Alliierten auf ihre Vorbehalte verzichteten und die Grenze zu Polen in einem völkerrechtlichen Vertrag festgelegt wurde (und man damit auf die ehemaligen Ostgebiete verzichtet hatte), fiel die Teilidentität weg: Es gab wieder ein souveränes Deutschland, das Staatsgewalt über alle deutschen Gebiete ausüben konnte und keine völkerrechtlich zu Deutschland gehörenden Gebiete, auf denen es keine Staatsgewalt ausüben konnte. Seit diesem Zeitpunkt ist die Bundesrepublik in jeder Hinsicht identisch mit dem Deutschen Reich und das bis 1990 völkerrechtlich weiterexistierende Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 ist Geschichte.

Rechtsnachfolge

Rechtsnachfolge (siehe auch Wikipedia) hingegen liegt vor, wenn jemand anderes in die Rechten und Pflichten von jemanden eintritt, den es nicht mehr gibt oder der diese Dinge nicht mehr wahrnehmen kann. Im Falle Deutschlands ist hier das sog. Vereinigte Wirtschaftsgebiet (Bizone) das beste Beispiel. In Artikel 133 GG heißt es:
Der Bund tritt in die Rechte und Pflichten der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes ein.
Das bedeutet also, dass der Bund nach der Auflösung der Bizone die Rechten und Pflichten von deren Verwaltung übernimmt. Das bezieht sich u.a. auf den Betrieb von Behörden und weiteren Einrichtungen und die Beschäftigung von Beamten.
Viele Reichsideologen und Selbstverwalter intepretieren diesen GG-Artikel so, dass die Bundesrepublik nur ein anderer Name für die Bizone und diese deswegen nur eine Wirtschaftsverwaltung sei. Das ist falsch. Wer in die Rechten und Pflichten von jemandem eintritt, wird nicht identisch damit. Wenn Herr B. in die Rechten und Pflichten von Frau B. eintritt, weil diese verstorben ist oder entmündigt wurde, wird er nicht zu Frau B., sondern bleibt Herr B. Um auf die Identität zurückzukommen: Die Bundesrepublik ist nicht mit der Bizone identisch.
Weiterhin kann die Bundesrepublik nicht mit der Bizone identisch sein, da diese für kurze Zeit nebeneinander existierten. Das Grundgesetz wurde am 23.05.1949 verkündet (womit die Bundesrepublik offiziell zu existieren begann), die Verwaltung der Bizone wurde jedoch erst im September 1949 auf Geheiß der Militärregierungen aufgelöst.